Der endgültige und viel zu späte Nachtrag zum vortragreichen Kulturpolitischen Bundeskongress 2011

Die Grundsatzfrage, ob man so einen aufwändigen und wichtigen Kongress braucht, um die kulturpolitischen Menschen aus dem neunzehnten wenigstens ins zwanzigste Jahrhundert zu holen. Ich habe mich oft aufgeregt, nicht weil der Kongress nicht interessant gewesen wäre oder nicht die richtigen Themen angesprochen hätte, sondern weil er genau das war und tat und aber nicht weitergehen konnte, als sie anzusprechen, weil immer viel zu lange gebraucht wurde, ehe man die Themen überhaupt erst mal aus dem Nichts (nämlich aus dem Nichtwissen vieler der Teilnehmer) entwickelt werden musste. Das ist ja auch schon eine Leistung, Menschen, die sich sonst nicht mit solchen Fragen zu beschäftigen, mit der Nase darauf zu stoßen: Hier, das ist ein Thema. Aber da hört es halt noch nicht auf. Klar, wenn man die Themen vom Kongress mit nach Hause nimmt, kann man dort darüber nachdenken, und ich hoffe auch, ich bin nicht der einzige, der das tatsächlich macht, aber … dazu so ein Kongress? Vielleicht ist diese Vorstellung ja zu idealistisch, aber ich habe mir vorgestellt, das man die Themen auf den Kongress mitbringt und dort dann schaut, in welche Richtung man sie entwickeln kann. Das geschah nicht. Radikale Thesen waren immer höchstens Randbemerkungen, nie Ausgangspunkte für weiterführende Überlegungen. Ja, wahrscheinlich verändert das Netz die Gesellschaft. Ja, es ist schön, dass das angesprochen wurde, ja, es ist inspirierend, ja. Aber: Wie verändert sich den die Gesellschaft nun? Es bräuchte nicht mal allzu gewagte Prognosen, eine aktuelle Bestandsaufnahme würde ja schon Veränderungen offenlegen. Vielleicht sehe ich das zu pessimistisch und der Kongress ist halt wirklich nur dazu da, anzusprechen, was außerhalb des Kongresses dann genauer untersucht werden muss.

Vielleicht war ich halt auch einfach nicht das Publikum, auf das man sich eingestellt hatte und für die anderen Anwesenden war vieles doch schon sehr radikal, obwohl ich sagen muss, dass das ein Armutszeugnis wäre, und der Kongress dann kein zukunfstweisender war, wie man sich selbst auf die Fahnen geschrieben hatte, sondern ein Nachholkongress, ein Hinterherrennen der Kulturpolitik hinter der tatsächlichen Wirklichkeit der Kultur. Ich bin ein bisschen in der Stimmung, das zu einer Radikalthese hochzudenken und zu sagen, es gebe keine institutionalisierte Zukunftsentwicklung, sondern immer nur hilflose Versuche, das, was man als die Gegenwart erkannt zu haben meint, und das in Wirklichkeit schon längst wieder die Vergangenheit ist, in eine annähernd stabile Struktur zu fassen. Und vielleicht ist das auch gar nicht schlimm, vielleicht wäre alles andere schon zu viel verlangt, und dann wäre die einzige dringliche Forderung: Dass auch das Verlangsamen und Institutionalisieren und das vermeintliche Festschreiben eines vermeintlich lebbaren vermeintlichen Status Quo: schneller werden muss. Die Veränderungen sind so schnell, dass das kulturelle Backup, als das ich den institutionalisierten Kulturbetrieb nur noch betrachten kann, schneller werden muss, um nicht jede Nähe zur tatsächlichen Kultur endgültig zu verlieren und nur noch sich um sich selbst zu drehen. Ich glaube auch sogar, dass diese Beschleunigung ohne Weiteres möglich ist, wenn man nur davon abgeht, so zu tun, als müsse man Institutionen immer so organisieren, dass sie für die Ewigkeit festgemeißelt funktionieren können müssen. Die einzigen funktionierenden Ordnungen (denn dass es ohne Ordnungen geht, behaupte ich nicht) sind Übergangsordnungen.